2016, 
Text von Ludwig Seyfarth
Ein immer wieder neues Spiel – zur Malerei von Isabelle Dyckerhoff

Die Geschichte vom Ende der Malerei oder ihrem konsequenten zu-Ende-Führen wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts immer wieder erzählt – besonders humorvoll von Harold Rosenberg. Wenngleich der amerikanische Kunstkritiker zu den Wortführern der Nachkriegsabstraktion in den USA gehörte, nahm er deren Trend zur zunehmenden Reduktion ein wenig aufs Korn:weiterlesen ...
„Newman schloss die Tür, Rothko zog den Rollladen herunter und Reinhardt löschte das Licht."
Das Licht der Malerei war nicht das erste Mal gelöscht worden. Marcel Duchamp tat es bereits um 1914, als er das Medium wegen seiner rein retinalen Wirkungen intellektuell abkanzelte und selbst den Pinsel beiseite legte. Nicht nur dieses „Ende der Malerei“, auch alle weiteren, die seitdem beschworen wurden, haben sich bekanntlich nicht bewahrheitet; der vermeintliche Kadaver stand immer wieder auf. Auch Rosenbergs Bonmot setzte keinen definitiven Schlusspunkt, sondern stellte letztlich auch die Frage: Wer stellt das Licht wieder an, wer zieht die Rollläden wieder hoch und wer öffnet die Tür?
Gleichwohl bleibt die Frage, ob alle relevanten Spielzüge der Malerei doch schon getätigt wurden, und wenn das Licht im Saal wieder leuchtet, ist die Aufführung vorbei, das Publikum spendet Beifall und geht nach Hause. Oder geht die Geschichte der Malerei doch immer weiter, egal für wie tot das Medium immer wieder erklärt wurde?
Vielleicht liegt allen Geschichten vom Ende ein falsches Denkmodell zugrunde – als beruhe die Malerei auf einer Folge von lösbaren Problemen, die sukzessive abgearbeitet werden können, wie es Ludwig Wittgenstein in seinem Tractatus Logicus Philosophicus mit der Sprache tat. Dann stellte er allerdings fest, dass die Sprache kein zeitloses logisches Konstrukt ist, sondern mit jedem „Sprachspiel“ immer wieder neu und anderes aufgeführt werden kann, wie er später in den Philosophischen Untersuchungen darlegte.
Die Reden vom Ende der Malerei folgen gleichsam der Logik von Wittgensteins Tractatus. Sie tun so, als ob irgendwann alles gemalt worden sei, was gemalt werden könne, und danach kann der Pinsel ein für alle mal ruhen.
Dann bräuchte auch Isabelle Dyckerhoff ihn nicht mehr in die Hand zu nehmen, denn alle Fragen, die sie in ihren Bildern be- oder verhandelt, wären schon längst gelöst. Natürlich haben schon viele Maler sich mit der kompositorischen Verteilung von Farbakzenten auf einer monochromen Fläche, mit dem Verhältnis von Fläche und Raum, mit dem komplexen Verhältnis von Figur und Grund, mit dem Austarieren horizontaler und vertikaler Reihungen beschäftigt. Aber interessanterweise ist genau mit dem Versuch einer Beschreibung dessen, um welche „Fragen“ es bei Isabelle Dyckerhoffs Bildern geht, nahezu nichts darüber gesagt, welche Antworten ihre Bilder darauf geben.
Weil jedes Bild letztlich ein neues Bild ist, lässt sich Geschichte der Malerei auch nicht angemessen darstellen, wenn man sie als lineare Fortschritts- oder Abarbeitungsgeschichte von Problemen erzählt. Vielmehr steht der Maler oder die Malerin vor jeder neuen Leinwand wie vor dem Anpfiff eines neuen Spiels, dessen Ausgang ungewiss ist.
Die Probleme der Malerei sind ebenso wenig „gelöst“ wie es die Millionen Schachpartien oder Fußballmatches, die schon stattgefunden haben, überflüssig machen, dass immer wieder neu gespielt wird. Der Maler Stephan Baumkötter äußerte mir gegenüber einmal: Kunst und Fußball seien vor allem darin vergleichbar, dass das meiste misslinge und man sich umso mehr freue, wenn doch etwas gelingt.
Schlechte Malerei ist nicht diejenige, die an schon gemalte Bilder erinnert (wie wäre das auch zu vermeiden?), sondern die sich nicht auf das Risiko des Scheiterns einlässt, das heisst, die so tut, als seien die Probleme der Malerei tatsächlich gelöst und müssten nicht noch einmal neu bearbeitet werden. Schlechte Malerei ist bloße Routine, die sich dem Risiko des Scheiterns gar nicht mehr aussetzt oder – anders gesagt – bei der wir von vornherein wissen, wie das Spiel ausgehen wird.
Für dieses Wissen reicht es nicht aus, Einflüsse oder Vorbilder zu benennen, auf die Isabelle Dyckerhoffs Malerei vermeintlich zurückfahrbar sei. Denn wir müssten darüberhinaus auch voraussagen können, wie das Spiel weiter- oder ausgeht, das heißt, welche Bilder sie demnächst malen wird. Wer glaubt, auf dem Spielfeld von Isabelle Dyckerhoffs Malerei sei nichts Neues mehr zu entdecken, hätte auch von den neuesten Werken nicht überrascht sein dürfen. Denn diese sind gegenüber den vorangegangenen Gemälden deutlich reduzierter, die mit dem Pinsel oder Spachtel aufgesetzten Farbakzente erscheinen hier nicht wie bisher in mehr oder weniger systematischen Reihungen, sondern meist als solitäre Markierungen, die deutlicher im Bildgrund verankert sind. Dieser ist nun selbst in differenzierten Farbschattierungen angelegt ¬ und weniger ein Grund, der mit aktiven Formen bedeckt wird, als dass die auf ihn gesetzten farbigen Akzente die Wahrnehmung auch bewusst auf ihn lenken.
Ludwig Seyfarth
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2013, 
Text von Ludwig Seyfarth
Isabelle Dyckerhoff gehört einer Generation von Malern an, die in ausreichender zeitlicher - und wenn man es noch so nennen will, postmoderner - Distanz zu den Grabenkämpfen der Avantgarde stehen, um mit einer gewissen Gelassenheit auf das umfangreiche Angebot zurückblicken zu können, das in jahrzehntelanger Pionierarbeit der Nachwelt ausgebreitet worden ist. Bei den radikalen Spielarten der ungegenständlichen Malerei sollten Farben und Formen nur sich selbst meinen, wie der junge Künstler Maurice Denis schon 1890 proklamierte: weiterlesen ...
„..man erinnere sich, dass ein Gemälde, bevor es ein Schlachtross, eine nackte Frau oder irgendeine Anekdote ist – wesentlich eine plane, von Farben in einer bestimmten Anordnung bedeckte Oberfläche ist.
Von Farben in einer bestimmten Anordnung bedeckte Oberflächen: So ließen sich auf den ersten Blick auch die 2013 entstandenen Bilder von Isabelle Dyckerhoff beschreiben, nur damit ist noch nichts gesagt. Die Anordnungen gehen aus von Kriterien wie Linearität, Serialität und Wiederholung, wie sie als leitende Kriterien der ungegenständlichen Malerei vor dem technisch-industriellen Hintergrund in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt wurden. So können sich einzelne Farbakzente locker in horizontalen Reihungen auf hellem Grund über die Fläche verteilen, aber auch mehrschichtig zu einer festen Kruste verbinden, ähnlich wie in vielen Werken des Informel in den 1950er Jahren, wobei die kräftigen Farben am ehesten an Nicolas de Staël erinnern.
Was bei Isabelle Dyckerhoff wie spontan auf die Leinwand gesetzt erscheint, folgt einerseits einer Reihe festgelegter Parameter, ist aber letztendlich Resultat einer Reihe intuitiver Entscheidungen, die mehrfache Verwerfungen und langwierige Überarbeitungen mit sich bringen.
So ist Isabelle Dyckerhoffs Malerei letztlich eher informell als konzeptuell. Statt einem vorgefassten Konzept in mehreren Schritten zu folgen, scheint sie sich an dem Diktum Heinz von Foersters zu orientieren, stets so zu handeln, dass die Zahl der Möglichkeiten wachse. In anderen Worten: Keines ihrer Bilder steht für eine Lösung, die eine Fragestellung ab- und andere Möglichkeiten ausschließt. Vielmehr stellt jedes Bild gleichsam einen neuen Ausgangspunkt, eine Art Plattform her, von der aus neue bildnerische Lösungen anvisiert werden.
So drückt sich in Isabelle Dyckerhoffs Malerei auch ein Lebensgefühl einer Zeit aus, die nicht mehr von linear operierenden Maschinen, sondern von Rückbezüglichkeit, ständiger Abrufbarkeit, Löschbarkeit und Veränderbarkeit geprägt ist. Es ist Malerei im digitalen Zeitalter, die sich aber weniger von einer „digitalen Ästhetik“ inspirieren lässt, als dass ihr alles zur Verfügung steht, was es in der ungegenständlichen Malerei bereits an Fragen und „Lösungen“ gegeben hat.
Doch Isabelle Dyckerhoff verzichtet bewusst auf die „postmoderne“ Möglichkeit, aus dem reichen Fundus der Kunstgeschichte zu zitieren und neu zusammenzufügen. Sie bleibt in gewisser Hinsicht der Moderne und dem Diktum Maurice Denis’ treu: Jedes Bild ist bei ihr zunächst eine Tabula Rasa, die unabhängig vom Wissen, Erfahrung und allen Kenntnissen der Malerin zunächst einmal mit Farbe bedeckt werden muss. Doch anders als viele Puristen der Abstraktion versucht sie nicht, außerbildnerische Assoziationen zu unterdrücken. Aber es bleibt den Betrachtern überlassen, ob vor ihrem inneren Auge ein bunter Teppich, eine Landschaft, ein Fenster oder eine Stadtsilhouette entsteht.

Ludwig Seyfarth


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2010, 
Die Leichtigkeit der Farbe
von Birgit Szepanski

Farbe ist Vielfältigkeit. Sie entsteht mit und im Licht, sie ist veränderlich und beinhaltet Farbklänge, die sich je nach Lichtfall auffalten, verbergen und auf diese Weise eine Opazität entstehen lassen, die uns an Farben so fasziniert.
Um eine Farbe zu bezeichnen benutzen wir Wörter, die Eigenschaften eines Farbtons bestimmen, die Abstufungen des Lichtfalls beschreiben oder die auf sinnliche Erfahrungen mit einer Stofflichkeit verweisen. Ein Blau kann ein Ultramarinblau oder Azurblau sein, ein Kobaltblau oder ein Berliner Blau – es erzählt durch seine Bezeichnung immer etwas über seine Entstehungsart und über eine Wesenhaftigkeit – wie über Meere und Himmel, flüssige und lichtdurchlässige Stoffe und über die Erfahrbarkeit von Natur. Farben sind daher immer auch Vorstellungsräume – Imaginationsfelder für Erinnerungen an Natur und die Sinnlichkeit von Dingen. weiterlesen ...


Isabelle Dyckerhoff malt Farb-Räume, die all diese Eigenschaften und Wesensmerkmale von Farbe in sich tragen. Das Erinnerte und Imaginative der Farbe, die darin liegende Zeitlichkeit formt sie in ihrer Malerei aus und stellt diese neben deren Klangreichtum. So entsteht in ihren Bildern eine große Spannbreite von Farbigkeit und Sinnlichkeit. Das Spiel von warmen und kühlen Farbtönen, die haptische Präsenz von aufgetragener oder lasierender Farbe wachsen zu einem vielfältigen Raum für Farbe. In diesem gestisch reduzierten Feld der Malerei, dessen Wesenhaftigkeit durch Offenheit und einem Zulassen entsteht, entwirft die Malerin lyrische Bilder.

Was ist dieses Lyrische? Es ist eine Leichtigkeit, die innerhalb der Berührungsfelder von Form und Farbe entsteht. Die vielen farbigen Schichten, Felder, umrissene Formen klingen im Mit- und Nebeneinander sowie innerhalb ihrer Nachbarschaften und bestimmen sich gegenseitig. Auf diese Weise lassen sie aufeinanderbezogene Dichten und Volumen entstehen, in denen einzelne Farbwerte sich in eine vielfältige, mehrfache Farbigkeit aufzulösen scheinen und – vice versa – Einzeltöne beginnen sich aus dem Ganzen herauszuschälen, sie vibrieren, bewegen und dehnen sich über die Umrisse ihrer Formgebungen und Setzungen hinaus. Das Farbfeld ist somit immer zugleich Hintergrund und Vordergrund für einzelne Farbigkeiten, die in sie hineinlaufen oder aus ihnen hervor klingen. So kann man bei Isabelle Dyckerhoffs Bildern von lyrischen Farbräumen sprechen, da die Farben in der Wahrnehmung des Betrachters unzählige Imaginationsfelder und Erinnerungsräume in ein erzählerisches Verhältnis setzen. Der Raum der Malerei wird so zu einem poetischen Bildraum.

Der Gestus und die Ausbreitung der Farbfelder – seien sie horizontal gestaffelt, in polderartigen Formen zueinander gerichtet, zerbrechlich lasiert oder als dynamische Gesten geformt – bilden ebenso poetische Momente in den Bildern. Der Betrachter kann diesen unterschiedlichen Bewegungs-Rhythmen eines Gemäldes folgen, ihnen nachspüren und nimmt die Malerei dann als einen mehrdimensionalen umfangenen Raum wahr. Die Farbwirkungen sind bei Isabelle Dyckerhoff immer in ihrer Vielfalt angelegt und geformt. Die Farbe ist Lichtträger und räumliche Ausdehnung, sie ist Material und Sujet. Dies wird erlebbar, wenn man aus der Ferne ein Gemälde betrachtet, dann bergen die Farben eine intensiv verschachtelte Tiefenwirkung – in der nahen Sicht entdeckt man übereinander geschichtete Farbverläufe, in denen die taktile Stofflichkeit der Farben sich zeigt oder auch feine Lasuren, in denen die Leinwand als getöntes Gewebe durchscheint.

Das Zufällige bildet neben dem Lyrischen in Dyckerhoffs Malerei eine weitere wesentliche Ebene. Die Malerin lässt dem Zufälligen Raum. Die Handlungen des Malens sind dabei sehr konzentriert: im Prozess des Malens tariert Isabelle Dyckerhoff Gewichtungen, Spannungen, Widerborstigkeiten oder Harmonien in einem Bildraum aus, so dass das Bild durch eine feinstufige Ausarbeitung langsam seine Form annimmt. Der Moment, in dem die Farben und malerischen Felder zwischen Zufall und dem bewussten Hinführen autark werden, ist der Zeitpunkt, in dem das Bild für sich stehen bleiben kann. Durch diese malerische Haltung Dyckerhoffs ist in jedem Gemälde eine Aura von Zufälligem, Zugelassenem und Bestimmten spürbar, die uns an Naturgeschaffenes erinnert. Die Malerin formt durch ihre unzähligen malerischen Entscheidungen in jedem Gemälde einen einzigartigen, authentischen Raum für Farbe, deren Klänge und Ausbreitungen. Die Formgebung ist dabei ein unterstützendes malerisches Element.

All dies – das Lyrische, das Zugelassene und Vielfältige – erfordert einen offenen Blick und ein Verständnis, das Malerei in ihrem ursprünglichen Sinne eine transferierende Vielfältigkeit ist und sein kann. Malerei ist für Isabelle Dyckerhoff vor allem die intensive Freude an der Sinnlichkeit und Wirkungsweise von Farbe, die als Wertigkeit für sich steht und wirkt. Es ist kaum möglich all die unterschiedlich klingenden, reinen und geschichteten Farben zu benennen, die in einem Bild Dyckerhoffs liegen und sich in ihm entfalten, denn ihre Malerei ist wie Licht beweglich, spektrumsreich und atmosphärisch zugleich.

Licht liegt unmittelbar in der Nähe zum Schatten. Auch diese Wesenhaftigkeit von Farbe als lichttransparentes und ephemeres Element bezieht Isabelle Dyckerhoff in ihre Malerei mit ein. Licht und Dunkelheit sind sinnlich malerische Reize, die zwischen einer imaginierten Tiefe und (Ober-)Fläche hin und her fließen. Dunklere Farbigkeiten beinhalten immer auch ihre helleren Nuancen, weil sie in ihrer Abstufung von Zeitlichkeiten sprechen und Erinnerungen an etwas Vorheriges hervorrufen. Isabelle Dyckerhoff schafft von Gemälde zu Gemälde neue Variationen oder Themen, die sich aus der Auseinandersetzung mit einem Bild ergeben haben – so entsteht jene Mannigfaltigkeit an intensiv leuchtenden bis dunkleren Farbräumen und zart lasierenden Flächen und dichten Schichtungen. Die Malerin setzt mit jedem Gemälde einen Anfang, in dem zugleich eine umfassende Vielfältigkeit liegt. Ein Gemälde ist ein Fragment der gesamten Malerei Dyckerhoffs – die Variationsbreite ist das künstlerische Format.

Wenn man sich als Schauende auf die von Dyckerhoff gestalteten Farbräume und Bewegungen in Farbigkeiten einlässt, dann wird Farbe zu einem sinnlichen und gleichermaßen mentalen Material. Da Farbwirkungen sich während des Sehens und im Rhythmus des Betrachtens entfalten, besitzen sie eine intensive Gegenwärtigkeit. Mittels dieser malerisch geschaffenen Gegenwart gelingt es Isabelle Dyckerhoff die Leichtigkeit und jene poetische Stofflichkeit von Farben aufzufalten, die im Raum der Malerei liegen.
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2010, 
Koexistenz: Die Bildwelten von Isabelle Dyckerhoff
von Dr. Barbara Rollmann-Borretty

Wann ist ein Bild ein gutes Bild – diese Frage wird nie erschöpfend beantwortet sein, auch wenn alle objektiven Kriterien erfüllt sind. Auch für einen bildenden Künstler gehört es zu den schwierigsten Dingen, die eigenen Werke nach deren Fertigstellung zu bewerten. So ist es ganz natürlich, wenn der kreative Prozess als eine Art Schwebezustand beschrieben wird, der das Malen zwischen kognitiver Entscheidung und intuitivem Handeln kreisen lässt. Immer wieder schildern Künstler eine Art drängende Energie, die sie durch ihre Arbeit leitet. Sicherheit und Routine beim Vorgehen ist die eine Option, Neugierde und Wagnis die andere. So ist die abstrakt-expressionistische Malerei stilistisch mehr von Strömungen als von Standpunkten geprägt. In der heutigen Zeit, die der realistischen Darstellung in Gemälden und Fotografien huldigt, vertritt der abstrakte Expressionismus als Gegenpol die Malerei per se: Deren Ziel ist die Intensität des Zusammenwirkens von Bildkomposition und Farbe. weiterlesen ...


Isabelle Dyckerhoff äußert sich auf diesem Terrain durch unterschiedliche technische und stilistische Ausdrucksmöglichkeiten. In ihrer entspannten Art lässt sie etwas geschehen, ohne manipulieren zu müssen. Ihr Schaffen ist gefächert, ohne das eigene Profil zu verleugnen. Dieses Zulassen von Prozessen, die nicht kognitiv gesteuert werden, macht die parallele Vielfalt in ihrem Werk aus. Sicher ist auch ihr künstlerischer Werdegang gezeichnet von der qualitativen Steigerung ihrer Bildwelt. Doch dieser Weg verläuft nicht phasenweise, sondern in stilistischen Handlungssträngen, die sich Bild für Bild abwechseln und überschneiden. So ist es möglich, dass die Malerin ein aus kräftigen Farbschichten und -zonen äußerst verdichtetes Gemälde aufbaut, um gleich darauf eine zarte Pastellwelt andeutungsweise über die große Leinwand zu hauchen. Fast scheint es, als bräuchte sie diese Gegensätze, um unter Spannung zu bleiben.

Anders als die historischen Positionen des Abstrakten Expressionismus, welche die Auflösung des Dinglichen suchten und fanden, scheint sich ihre Arbeit mehr dem Körperhaften zuzuwenden. So kann man bei Isabelle Dyckerhoffs Bildern immer auch an Landschaften denken, die sich aus dem Miteinander der gesetzten Farbpolster herauskristallisieren. Häufig ist es eine komprimierte Mikro-Landschaft, manche Arbeiten gleichen sogar einer besonders bunten Landkarte. Es gibt Gemälde, die an die unterschiedlichen Töne und Schraffuren einer Natursteinmauer im Sonnenlicht erinnern. Andere ermöglichen den imaginären Blick in einen blühenden Garten, wieder andere scheinen die Sicht zu öffnen auf eine weite Himmel- und Wolkenlandschaft. So ist immer ein Bezug zur Wirklichkeit möglich.
Auch der große dänische Künstler und Naturwissenschaftler Per Kirkeby, der als ein Vorbild unserer Malerin gelten darf, lenkt in seinen abstrakten Farblandschaften die Phantasie auf eine natürliche Binnenstruktur wie Gesteinsformationen.


Isabelle Dyckerhoff arbeitet teilweise mit dem Spachtel, kratzt Schraffuren und setzt Ballungszonen, so dass die Materialität ihrer Ölgemälde betont wird. Ihre Handschrift ist gestisch, wenn sie die amorphen Farb-Zonen aufträgt – wobei sie großen Wert auf die differenzierte Behandlung einzelner Stellen legt. Beinahe plastisch überlagern sich die Farbstrukturen. So öffnet sich im Gesamtgefüge des Bildes Räumlichkeit und Tiefe. Die Vielschichtigkeit und Dichte dieser Ölgemälde ist so ungeheuer reich an Erzählstoff, und das Auge wird nicht müde, in den Bildern umherzuwandern. Das mag auch an ihrer Offenheit liegen, denn sie sind frei von der Verpflichtung, etwas darzustellen oder auf etwas zu verweisen.

In neueren Arbeiten wird eine Tendenz zur Reduktion und zur Figuration deutlich.
So sind es einmal horizontal dominierte Gemälde (Berliner Bilder Nr. 42, Seite XY), die sich als Stadtlandschaften interpretieren lassen. Sie konzentrieren sich auf die Andeutung von Baukörpern und urbanen Zonen, Asphaltgrau oder Braun (der freigelassenen Leinwand) werden zu wichtigen Stimmungsfaktoren.
Eine andere Gruppe neuer Gemälde lebt ganz von der Kunst des Weglassens: hier drückt sich Dyckerhoff in einer noch größeren Leichtigkeit aus und setzt nur farbige Gesten. Über die klar grundierte Leinwand lässt sie Kaskaden lockerer Farbpolster fließen, die sich zu einem großen Bogen formieren. Diese neue Richtung war vorbereitet durch eine Serie kleinerer Gemälde, die viel von der Leinwand freilassen und ihre szenischen Andeutungen so leicht und heiter auf die Fläche setzten, dass man meint, vor den Abkömmlingen der Tunisbilder von August Macke zu stehen (siehe Isabelle Dyckerhoff Malerei 3, S.6).

Die Kolorierung eines Bildes und die Heftigkeit oder Zurückhaltung des Malauftrags können Assoziationen oder auch Empfindungen transportieren. Isabelle Dyckerhoff hat ein untrügliches Gespür für Farbkombinationen, ihre Farbpalette ist sehr üppig. Besonders kräftige und leuchtende Farben setzt sie in der Bildstruktur gegeneinander, als müssten diese wie die beiden Pole einer Batterie den Strom erzeugen. Doch die Koloristin sorgt auch für Erdung: Die vitalen Kompositionen werden von Schlamm- Grau und Brauntönen beruhigt. Fokussiert man die einzelnen Töne, so ist zu bemerken, dass wenig Grundfarben verwendet werden. Fast jede der Farben ist eine besondere Mischung, der man ansieht, dass sie nicht so nebenbei entstand. So ergeben sich ganz individuelle Farbwelten, die manchmal so kontrastreich und fast aggressiv Spannung erzeugen, bei anderen Bildern wider ganz harmonisch wie eine zarte Melodie die Fläche bespielen.
Und so sind es die Gegensätze in diesem Werk, die faszinieren: Wenn auf ein kraftvolles, gestisch durchstrukturiertes Bild ein wandhohes Gemälde in zartestem Pastell folgt, dessen Farben nur mit der Puderquaste auf den Malgrund getufft zu sein scheinen – und der Betrachter sich von zwei völlig verschiedenen Bildwelten angezogen fühlt.
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2009, 
Isabelle Dyckerhoff: Abstrakte Malerei im globalisierten Reich der Zeichen
von Birgit Sonna

Das Bekenntnis zu einer ästhetisch hochgradig verfeinerten Bildsprache schließt sich mit dezidierter Zeitzeugenschaft in der Kunst heute nicht mehr aus. Die Ära, in der sich gerade die Vertreter der abstrakten Kunst gegen den meist von rigiden Konzeptualisten erhobenen Formalismus-Vorwurf verteidigen musste, ist jedenfalls längst vorüber. Insbesondere die abstrakte Malerei hat wieder ein nahezu unübersehbares neues Terrain in der Kunstwelt gewonnen. Ob es sich nun um die neogeometrische Malerei oder um faszinierend frische Tendenzen des Abstrakten Expressionismus handelt, zu Recht wird die Renaissance der nichtgegenständlichen Malerei als befreiende Kraft wider das Diktat eines nach vordergründig politischen Inhalten schielenden Kunstengagements empfunden. Und doch hat sich etwas Entscheidendes seit der Nachkriegsabstraktion verändert. weiterlesen ...
Ging es in den fünfziger Jahren vorrangig darum, die Kunst in Europa nicht zuletzt über ihren Autonomieanspruch aus dem Joch jener faschistischen Barbarei zu lösen, die sie so lange für ihre propagandistischen Zwecke vor die Kandare gespannt hatte, so reflektiert die abstrakte Malerei ein halbes Jahrhundert später vor allem ihren Status Quo in dem Koordinatennetz zwischen der nachbebenden Tradition der utopistischen Moderne und ihrer heutigen gesellschaftlichen Relevanz. Unter den Vorzeichen dieses Spannungsverhältnis ist auch Isabelle Dyckerhoffs Malerei zu betrachten.

Seit Isabelle Dyckerhof sich in der Münchner Kunstwelt und darüber hinaus als abstrakte Malerin positioniert, also seit rund zehn Jahren, scheinen auf ihren Bilder die Farben – in Felder aufgeteilt oder zu einem Fleckenkonglomerat zusammengeballt – ein relativ agiles Eigenleben zu führen. Die All-Over-Strukturen des sich in welcher Ausprägung auch immer über die Leinwand legenden Farbtextur wirken wie intuitiv gefunden. Doch der Eindruck trügt: Anders als etwa Jackson Pollocks impulsiv vorgenommenes Farb-'Dripping' oder auch die spontan gesetzten Farbflecken der französischen Tachisten, geht selbst den unregelmäßigsten Farbverläufen auf Dyckerhoffs Bildern ein langwieriger und reflektiver Arbeitsprozess aus teilweise wieder verworfenen Setzungen voraus. Im Zentrum der Expedition in die räumlichen Ausdehnungs- wie Kontraktionsmöglichkeit der Farbe steht deren changierende Intensität, wie sie sich unter Maßgabe der jeweiligen koloristischen Nachbarschaft auf oft frappierende Weise einstellt. Ein Ton besteht niemals nur für sich, Isabelle Dyckerhoff entfaltet eine ganze Partitur an vielstimmigen Farbklängen. In der Regel setzten sich Dyckerhoffs Kompositionen aus mehreren Farbfeldern oder eben Farborganismen zusammen, die Schicht für Schicht aufgetragen werden. Prima vista könnte man meinen, dass die Bildlösungen sich aus geradlinigen und simplen Kettenreaktionen ergeben. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall: Dyckerhoff entwickelt sie während eines langwierigen experimentellen Prozesses, bei dem die Interferenzen von Farbe, Form und Struktur auch in ihren ungewöhnlichsten Kombinationen erprobt werden.

Wieder und wieder verändert Isabelle Dyckerhoff im Laufe des Malprozesses die Erscheinungsformen der Farbe, egal ob sich deren Verdichtungen am Ende als Balken, Rechtecke oder auch Flecken manifestieren. Sie überschneiden sich oder verschmelzen miteinander, sind voneinander scharf abgegrenzt oder löschen sich gegenseitig aus. Spezifische Töne verschwinden partiell, um andernorts unter veränderten Bedingungen wieder aufzutauchen. Mal sind die Ränder ausgefranst, mal organisch gerundet, mal schnurgerade. Fast immer scheint eine tiefer liegende Farbschicht unter der opaken Oberflächenhaut durch. Durch das als »Multilayering« bezeichnete Verfahren verschmilzt nach und nach die flächig aufgetragene Farbe mit dem Grund und die einzelnen Farbpartien werden schließlich zu einem leuchtenden Amalgam von vitaler Raumwirkung. Ähnlich wie bei dem Malerheros Mark Rothko beginnt die Farbe wie von innen heraus zu atmen und zu pulsieren, gerade die tachistisch gehaltenen Kompositionen Dyckerhoffs lassen die Farbwolken im gleichsam dynamisierten Bildraum schweben. Das komplexe Bezugssystem der Farben, der eigenwillige Klang und Rhythmus der Töne, die Kontraste und Valeurs, der Pinselduktus und Farbauftrag bringen Dynamik, Temperatur und Leben in den ursprünglich planen starren Bildgrund und machen Farbe zu einem Ereignis. Damit nicht genug, Isabelle Dyckerhoff ist nicht nur eine Koloristin wie sie im Buche steht, sondern sie versichert sich auch immer wieder ihrer heute keineswegs mehr selbstverständlichen Rolle einer abstrakten Malerin.

Aus einer gewissen Skepsis heraus kam es, dass Isabelle Dyckerhoff 2006 in einem eigens in Berlin angemieteten Atelier freiwillig in Klausur ging und das eingeschränkte Stimmungsfeld über die expressiven Nuancierungen ihrer Malerei auslotete. Durch das Rahmenmotiv eines Schaufensters gingen die Außeneindrücke wie über einen Filter in die halbgeometrisch, halborganisch strukturierten Bilderserie ein. Der Zyklus 'Berliner Bilder I (1-6)' reflektiert den berühmten Fensterblick der Malerei auf ambivalent subjektivierte und realistisch im Kunsthype von Berlin verortete Weise. Topographisch kann und soll man nicht erkennen, um welche Architekturdetails es sich bei den gegenständlichen Abbreviaturen im Einzeln handelt. Der Reiz liegt vielmehr im völlig vagen Erahnen von Motiven wie Pfeiler, Fassaden, Bäumen und auch Wettergegebenheiten. Es ist ihre sich Schritt für Schritt vortastende Haltung zur Welt, die Isabelle Dyckerhoff als Malerin auf der Höhe der Zeit auszeichnet. Wenn sich ein Magazin wie 'Texte zu Kunst' in einer ganzen Ausgabe (März 2008) der Abstraktion widmet, dann heißt das auch, wie gesellschaftspolitisch brisant das Thema in Zeiten der Globalisierung über die ästhetischen Implikationen hinaus geworden ist. So fragt etwa Sven Lütticken in seinem Aufsatz 'Leben mit Abstraktion': 'In welchem Verhältnis steht dann aber die abstrakte Kunst zur zunehmend 'Abstrakten Welt'? Und wie kann dieses Verhältnis heute konzeptualisiert werden, nachdem die Formensprache der Abstraktion im Gewand des korporativen Designs immer neue Urstände feiert und die in abstrakten Zeichen codierte Information zur Leitwährung immaterieller Ökonomien avanciert ist?'

Dyckerhoff sucht derartige Fragestellungen mit nachhaltiger Experimentierlust auf der Klaviatur ihrer Farbpalette immer weiter einzukreisen: Sie analysiert die heutigen Parameter der abstrakten Farbfeldmalerei über ein dichtes Netz aus Bezügen. Es ist eine Malerei, die ohne ihre Vorläufer gar nicht mehr zu lesen ist, ob sie nun Barnett Newman, Ad Reinhardt, Willem de Kooning, Clifford Still, Ernst Wilhelm Nay oder Jerry Zeniuk heißen. Daher rührt die auch bis in die koloristische Oberflächenbehandlung phänomenologisch aufgeladene Energie der Bilder. Auf einer Metaebene wird das prekäre Verhältnis zwischen retinaler Überwältigung, historischer Quellenerforschung und dem Ist-Zustand der Gesellschaft sichtbar. Man kann die Malerei heute nicht mehr neu erfinden, Isabelle Dyckerhoffs vielfältig sich zwischen den Polen der Geometrie und dem Abstrakten Expressionismus abspielende Organisation der Farben verankert das nichtgegenständliche Idiom im Hier und Jetzt einer rasant flottierenden Welt: einer verschlüsselten Welt des mittlerweile universal gesteuerten Tauschhandels, die materiell nur mehr schwer greifbar ist.
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2009, 
Ausstellung Farbcode München Katalogtext
von Daniela Silvestrin

Isabelle Dyckerhoffs Arbeiten bestechen durch die von ihnen ausgehende Harmonie der Bildlösung und die in sich stimmige Farbkomposition. Ohne gefällig zu sein schaffen es die Bilder, den Betrachter anzuziehen, zu beschäftigen und zu einer Entdeckungstour durch die verschiedenen Farbklänge und –schichten anzuregen. Diese Farbkompositionen entstehen in einem langwierigen Arbeitsprozess, der über Monate hinweg andauern kann. Dyckerhoff beginnt dabei mit einer Idee oder spontanen Inspiration aus ihrer Umwelt, manchmal nur ein schneller Blick aus dem Fenster, und tritt dann in einen Dialog mit der Leinwand. Sie setzt Farbe auf die Leinwand und reagiert darauf. weiterlesen ...
So werden in diesem Prozess Stellen oft wieder übermalt, manchmal vollkommen, manchmal nur partiell, oder aber die darüber gesetzte Farbe lässt später noch etwas von der darunterliegenden Vergangenheit durchschimmern.
Durch diese Technik des schichtweisen Farbauftrags über größere Zeiträume hinweg schafft es Isabelle Dyckerhoff, sich in das Bild hinein zu projizieren und sich gleichzeitig davon zu lösen. Wichtig ist ihr dabei, nie zu sehr an ihrer Anfangsidee festzuhalten, sondern sich vom Zufall, der Spontaneität und der Leinwand selbst führen zu lassen, bis sich im Laufe der Arbeit eine bewegte, lebendige Fläche entwickelt, in der die Farben zu ihrer vollen Leuchtkraft gelangen und ein Gleichgewicht zwischen unterschiedlichen Farbtönen und -klängen und den sich überschneidenden, ineinander übergehenden oder auch scharf abgegrenzten Farbflächen entsteht.

Leiten lässt sich Isabelle Dyckerhoff dabei sowohl von dem Raum und der Helligkeit der Umgebung des entstehenden Bildes, als auch von der Leinwand selbst: eine weiß grundierte Leinwand ist bei der Künstlerin damit nie nur Träger des Bildes, sondern wird als wesentlicher Teil in die Komposition einbezogen.

Isabelle Dyckerhoffs Freude an Farbe macht diese in ihren Bildern zu einem Ereignis und die Bilder selbst zu einem Erlebnis. Indem sie die Farbe und deren Komposition nicht dazu verwendet, die Illusion einer bis ins Unkenntliche abstrahierten Form zu schaffen, wird die Farbe selbst zum eigentlichen Zweck ihrer Malerei. Isabelle Dyckerhoff unterwirft sich keiner konzeptionellen Aussage oder dem Zwang, etwas völlig Neues zu kreieren, wodurch ihre Bilder nur sie selbst sind und nicht vorgeben, etwas anderes zu sein: Im Mittelpunkt der Arbeiten bleibt immer die Ausdruckskraft der Farbe und ihre räumliche Wirkung.
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